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Arthur Langerman über europäischen Antisemitismus und die Gründe, warum er seine wertvolle Sammlung nach Berlin verschenkt
- „Judenhass als Wirtschaftsfaktor“. Beim Festakt zur Übergabe der Sammlung besichtigte Arthur Langerman auch die Arbeiten von Studierenden des Seminars „Bäder-Antisemitismus im Bild: Die Judenspottkarten aus deutschen Kurorten“, bei dem sie bereits auf Objekte aus seiner Sammlung zurückgreifen konnten. So wurde in Werbematerial der Nordseeinseln von 1897 eine Insel explizit als „judenrein“ bezeichnet, um eine antisemitische Klientel anzusprechen
[1]
- © TU Berlin/PR/Felix Noak
Die meisten Menschen sammeln Dinge wie
Briefmarken oder Schneekugeln und anderes. Wieso begannen Sie,
antisemitische Hassbilder zu sammeln?
Meine ganze
Familie ist in Auschwitz gestorben, nur meine Mutter ist
zurückgekommen. Ich selbst war mit eineinhalb Jahren von ihr getrennt
worden und überlebte in einem Heim in Brüssel. Für mich war das
Sammeln eine Art Psychotherapie, ein Heilungsprozess für meine
verwundete Seele. Doch die Schmerzen bleiben das ganze Leben.
Was war das erste Sammlerobjekt?
Da meine
Mutter nie mit mir darüber gesprochen hat, was sie erlebt hatte, habe
ich erst später mitbekommen, dass den Juden Misstrauen und Hass
entgegenschlagen. Ich wollte herausfinden, warum. Das erste Plakat
habe ich in den 60er-Jahren auf einem Flohmarkt gefunden, aus „Der
Stürmer“. Abgebildet war ein krank aussehender Mensch, der
hässlich lacht. ‚Juden lachen‘ hieß der Titel. Doch der
Antisemitismus war ja keine Erfindung der Nazis. Antisemitismus ist
mehr als 1000 Jahre alt. Die Juden haben immer und an vielen Orten
gelitten. Man sagte, Juden können deshalb nicht länger als drei
Generationen in einer Stadt leben. Solche Zeichnungen, wie ich sie
sammele, kamen vor allem im 19. Jahrhundert auf, zum Beispiel in der
Publikation „La France Juive“, die 1886 in Frankreich auftauchte.
Sie begleitete sehr öffentlichkeitswirksam die Dreyfus-Affäre, den
Justizskandal, der von antisemitischer Hetze befeuert war. In
Deutschland begann die bildliche Darstellung in Magazinen und
Zeitschriften mit Ironie, mit Hohn und Spott und wandelte sich dabei
in die Charakterisierung der Juden als hässlich, ekelhaft und reich.
Sie wurden, wie viele Stücke zeigen, als bettelarme Lumpenhändler
dargestellt, als bolschewistische Agenten und Verschwörer, als
kapitalistische Bonzen und Drahtzieher, als lüsterne und
entmenschlichte Kinder- und Frauenschänder, als zähnefletschende
Monster, als Ungeziefer und Krankheitserreger. Das gipfelte darin,
dass man Juden als Ratten und Spinnen darstellte und der Kommandant
des Vernichtungslagers Treblinka unwidersprochen sagen konnte:
„Heute habe ich 100 Stück (!) vernichtet.“
Ihre Sammlungsobjekte stammen aus ganz Europa. Welches
Objekt war besonders schwer zu bekommen?
Es sind
eigentlich alle Stücke schwierig zu bekommen. Die Verkäufer sind
vorsichtig, verschämt und haben Angst, etwas Falsches zu tun. Man
muss erst ihr Vertrauen gewinnen. Am häufigsten kommen die Objekte
heute aus dem islamischen Kulturkreis, denn in die moderne
europäische Literatur und Zeitungen finden antisemitische Zeichnungen
praktisch keinen Eingang mehr. Es gibt sie aber durchaus noch, vor
allem in Frankreich. Zum Beispiel Zeichnungen von Macron, der mit
großer Hakennase dargestellt wird, als „Sklave Rothschilds“ mit
einem Hinweis auf seine Tätigkeit für die Familie Rothschild.
Sie haben Ihre Sammlung lange privat betrieben und auch
gehalten. Warum jetzt der Schritt in die Öffentlichkeit?
Bisher hatte ich nur zum Vergnügen gesammelt, für meine eigene
Heilung, wie gesagt. Nun bin ich fast 77 Jahre alt, und die Sammlung
ist inzwischen zu einer Dimension angewachsen, die man, wie ich fand,
für die Nachwelt erhalten sollte. Da es aber ein sehr empfindliches
Thema ist, kann ich diese Passion nicht einfach auf andere Menschen
übertragen und sie vielleicht damit belasten, schon gar nicht die
eigenen Kinder. Bei dem bestens renommierten Zentrum für
Antisemitismus hier in Berlin, das mich faszinierte in seiner in
Europa einzigartigen Konzentration auf Antisemitismusforschung, weiß
ich meine Sammlung in guten Händen. Und ich weiß auch, dass sie
damit aus der Privatheit heraustritt und sogar noch der weiteren
Aufklärung vieler Menschen zugutekommt.
Fällt es Ihnen schwer, sich von Ihrer Sammlung zu
trennen?
Eigentlich nicht, denn ich bin sicher, dass es
hier viele Leute gibt, die damit etwas Sinnvolles anzufangen wissen.
Ich wünsche mir für die Zukunft, dass das Zentrum Studierende und
Doktoranden findet, die sich damit beschäftigen, dass es
Ausstellungen organisiert, dass man von dieser Sammlung erfährt. Es
ist mir auch wichtig, dass man damit in Schulen geht und sie Kindern
zeigt. Wenn meine Sammlung hier ist, werde ich mit Berlin in
Verbindung bleiben und auch gern zu Ausstellungen oder Vorträgen
kommen. Ich fühle mich sehr wohl in Berlin.
Das Interview führte Patricia Pätzold
Unbezahlbares Geschenk
[2]
- © TU Berlin/PR/Felix Noak
„Diese Schenkung stellt einen unschätzbaren Fundus für die Wissenschaft dar“, bedankte sich der Regierende Bürgermeister Michael Müller bei Arthur Langerman (Foto u. r.) für ein unbezahlbares Geschenk an die TU Berlin und damit auch an die Stadt: Der belgische Unternehmer hatte der Universität in einem Festakt im Lichthof am 20. März 2019 seine einzigartige Sammlung übergeben: den weltweit größten und vielfältigsten Bestand visueller antisemitischer Artefakte, dessen Wert auf einige Millionen Euro geschätzt wird. Mehr als 5000 Postkarten, über 1000 Skizzen sowie jeweils Hunderte Plakate, Gemälde und illustrierte Druckwerke aus 15 Ländern hat der Sammler zusammengetragen und sie nun dem TU-Zentrum für Antisemitismusforschung (ZfA) geschenkt, um sie Forschung und Lehre sowie einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. „Wir versichern Ihnen: Berlin wird verantwortungsvoll mit dieser Sammlung umgehen“, so Michael Müller weiter. „Diese großzügige Schenkung zeigt die internationale Zugkraft des ZfA.“ Das neue „Arthur-Langerman-Archiv für die Erforschung des visuellen Antisemitismus“ (ALAVA) wird als Teil des ZfA zukünftig am neuen Standort in der Kaiserin-Augusta-Allee in Berlin-Moabit untergebracht sein. Auf rund 1400 Quadratmetern werden neben neuen Seminar-, Büro- und Ausstellungsräumen das ALAVA sowie die eigene Spezialbibliothek des Zentrums der wissenschaftlichen Forschung und Lehre neue Perspektiven eröffnen.
TU-Stiftung wacht über den Schatz
Das wertvolle Geschenk zu erhalten und zu bewahren, öffentlich zugänglich zu machen und für Forschungszwecke zu pflegen ist Aufgabe einer gemeinnützigen Stiftung, die Ende März 2019 gegründet und vertraglich besiegelt wurde. Sie wird das organisatorische Dach der Sammlung sein. Treuhänderin ist die TU Berlin. Auch ein Kuratorium wurde bereits eingerichtet. Derzeit, so Prof. Dr. Uffa Jensen, stellvertretender Leiter des ZfA, liefen außerdem Gespräche im Hintergrund über Möglichkeiten finanzieller Förderungen, um zum Beispiel Ausstellungen oder Symposien zu organisieren. „Vor der ersten Ausstellung steht allerdings noch Forschungsarbeit. Wir müssen zunächst untersuchen: Was soll man in welcher Form zeigen? Welche Medien kann man nutzen? Welche Begleitinformationen sind notwendig, um das Ziel der Aufklärung zu erreichen und dem Missbrauch der Bilder vorzubeugen? Sicherlich werden wir zunächst Multiplikator*innen wie Lehrende und Galeristen schulen.“
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