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Wie Fachzeitschriftenverlage durch ihre Gewinnpolitik den offenen Zugang zu Forschungsergebnissen behindern und wie Wissenschaftler sich dagegen wehren wollen
Interview mit Martin Grötschel
Herr Prof. Grötschel, die Preise für Fachzeitschriften
explodieren, Universitätsbibliotheken können sie sich kaum mehr
leisten. Mit Wissen, das von Forschern produziert und von der
öffentlichen Hand finanziert wird, erzielen Großverlage mit
minimalem eigenen Einsatz hohe Renditen. Sie sichern sich alle Rechte
und zwingen die Institutionen, das Wissen überteuert
„zurückzukaufen“. Das verhindert den freien Zugang zum Wissen und
behindert Forschung und Lehre inzwischen stark. Die Wissenschaft
beginnt jetzt, sich zu wehren. Wie kommt das Wissen eigentlich in die
Zeitschrift?
Wir haben es in der Tat mit einer
massiven wirtschaftlichen Fehlentwicklung zu tun, mit einer Lizenz zum
Gelddrucken für Verlage. Ich rede hier nur über öffentlich
betriebene Wissenschaft und über Fachzeitschriften, nicht über
Forschung in der Industrie und auch nicht über Bücher. Ein normaler
Wissenschaftler an einer Universität, zum Beispiel ein Mathematiker
wie ich, produziert etwa zwei bis fünf Artikel jährlich – bezahlt
vom Steuerzahler. Der „chief editor“ einer Fachzeitschrift
überfliegt einen eingereichten Artikel kurz und reicht ihn zur
genaueren Prüfung an einen „associate editor“ weiter. Dieser ist
Experte des speziellen Fachgebiets. Zwei oder drei Gutachter verfassen
einen detaillierten „referee report“ und anschließend wird
entschieden, ob das Paper angenommen, überarbeitet oder abgelehnt
wird. Diese sehr aufwendige Qualitätsprüfung sichert die
Hochwertigkeit der Veröffentlichung. Bis hierher sind allerdings nur
Kollegen in den Prozess involviert, die für ihre Arbeit keinerlei
Honorar kassieren. Das ist eine Art Hol- und Bringschuld unter
Forschenden. Jeder schreibt selbst und möchte begutachtet werden. Ich
war in meinem bisherigen Leben Mitherausgeber von 17 Zeitschriften.
Noch nie erhielt ich einen Cent für diese Arbeit, und andere
Kolleginnen und Kollegen eben auch nicht. Die Wissenschaftsverlage tun
jedoch so, als seien sie es, die für die Qualitätssicherung sorgen.
In Wahrheit bekommen sie diese kostenlos von der
Wissenschaftsgemeinschaft geliefert. In der Regel liefert der Autor
heute außerdem ein weitgehend druckreifes Manuskript ab, in der
Mathematik meist mit dem Programm „LaTeX“ hergestellt, das
besonders gut geeignet ist für die Darstellung mathematischer
Formeln. Die Verlage haben also, wenn überhaupt, auch nur noch wenig
mit dem Layout zu tun, sie organisieren lediglich noch Druck,
Marketing, Vertrieb und elektronische Bereitstellung. Dafür verlangen
sie absurd viel Geld und steigern ständig die Preise. Sie schöpfen
dabei bis zu 40 Prozent Gewinn vom Umsatz ab. Die Budgets der
Universitäten können bei dieser Preistreiberei einfach nicht mehr
mithalten. Am Ende verfügen wir trotz großer Informationsflut über
immer weniger „nachlesbares Wissen“: Wir können das nicht mehr
bezahlen, was wir selber produziert haben.
[1]
- © TU Berlin/Pressestelle/Ulrich Dahl
Wie schaffen es denn die Verlage, einen solchen Druck
auszuüben?
Einerseits durch clevere
Vertriebsstrategien. Sie versuchen, Großverträge mit ganzen
Universitätsverbünden oder sogar Ländern abzuschließen, die große
Preisintransparenz erzeugen, da man häufig nicht mehr den Preis einer
einzelnen Zeitschrift erfahren kann. Die angeblich frohe Botschaft
ist, dass man Preisnachlässe bei Abnahme vieler verschiedener
Zeitschriften bekommt. Doch nicht jeder will all diese Zeitschriften
haben. Allein in der Mathematik gibt es über 1000 Zeitschriften, von
denen ich zum Beispiel etwa zehn regelmäßig lese, mit allen
TU-Kollegen zusammen kommen wir so vielleicht auf 100, maximal 200.
Doch 1000 brauchen wir nicht. Hier wird ein Mehr an Information
vorgegaukelt, das wir gar nicht haben wollen, wofür wir aber teuer
bezahlen müssen. Daran gehen im Übrigen viele kleine Verlage
zugrunde, denn durch die Bündelabonnements bei Großverlagen bleibt
kein Geld mehr für den Ankauf der Produkte kleiner Verlage übrig.
Die seriösen familiengeführten Wissenschaftsverlage verschwinden.
Der in der Mathematik wichtige wissenschaftliche Springer-Verlag war
ein solches Unternehmen. In den vergangenen Jahren ist er durch die
Hände mehrerer Heuschrecken gegangen, heute ist er bei ausländischen
Investoren gelandet, die von reinen Profitinteressen getrieben werden.
Gegen Geschäftstüchtigkeit und im Verhältnis zum geleisteten
Mehrwert angemessene Gewinne ist nichts einzuwenden, hier werden
jedoch immense Profite durch Monopolstrategien und die Ausnutzung
gewisser Zwangslagen junger Wissenschaftler und von Universitäten
erzielt.
Sie sind auf diese
Publikationsmöglichkeit angewiesen, um in ihrer Karriere
weiterzukommen …
Natürlich! Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler haben kein direktes finanzielles Interesse am
Schreiben. Sie wollen und müssen ihre Forschungsergebnisse
veröffentlichen, Belege für ihr wissenschaftliches Arbeiten liefern,
für ihren Lebenslauf, ihre Publikationsliste, ihre Karriere und auch
als Nachweis für Mittelzuweisungen. Ich als einigermaßen
erfolgreicher Wissenschaftler am Ende meiner Karriere kann es mir
leisten, wenig zu veröffentlichen oder in nicht so angesehenen
Zeitschriften, es schadet mir nicht mehr. Doch junge Forscher haben
keine Alternative, sie müssen in Zeitschriften publizieren, die ein
hohes „Ranking“ haben. Wissenschaftsadministratoren schauen nicht
auf den Inhalt, sondern auf den Publikationsort und solche
Pseudo-Bewertungen wie Impact-Faktoren und h-Indizes. Die Verlage
haben das natürlich erkannt und steigern gerne den Marktwert ihrer
Produkte durch Hinweise auf Objektivität vorgaukelnde
„Qualitätsindikatoren“. Einige Wissenschaftler glauben selbst an
diese, und so laufen wir durch Konzentration unserer Publikationen in
„gehypten“ Zeitschriften in eine weitere Falle, die von allen
Verlagen aktiv gepflegt wird. Diese Indikatoren sind
manipulationsanfällig, es gibt bereits Fälle, wo dies nachgewiesen
werden konnte.
Der Boykottaufruf „The Cost of
Knowledge“, initiiert von den beiden hoch renommierten Mathematikern
und Fields-Medaillen-Trägern Tim Gowers und Terence Tao und
mittlerweile von 11 000 Wissenschaftlern weltweit unterschrieben,
ermutigt Forschende, generell nicht mehr bei „Elsevier“ zu
publizieren und bei dem Verlag auch nicht zu kaufen. Aber was kommt
danach?
Zunächst: Unter den 11 000 Wissenschaftlern
sind etwa 2000 Mathematiker. Das zeigt, wie sich die Bewegung schon
auf andere Fachgebiete ausgeweitet hat. Der Elsevier-Verlag wurde
ausgewählt, weil er der größte Player in diesem Spiel ist, obwohl
die anderen, wie Springer oder Wiley, genauso verfahren. Ein Kreis von
34 Leuten, die diesen Boykott unterstützen und zu denen ich als
Generalsekretär der „International Mathematical Union“ auch
gehöre, diskutiert derzeit, wie es anschließend weitergehen kann. Es
gibt keine einfachen Lösungen, ich kann Ihnen keinen Königsweg in
eine bessere „wissenschaftliche Publikationswelt“ anbieten. Auch
der politische Druck, das deutsche Urheberrecht zu ändern, bringt
wenig, weil das keine internationale Wirkung hat. Wir Mathematiker
veröffentlichen derzeit „Best-Practice-Dokumente“ für Autoren,
in denen wir unter anderem raten, Rechte nicht vollständig und nur
befristet abzugeben. Die jungen Leute trauen sich das natürlich nicht
so leicht, aus Angst, dann nicht veröffentlichen zu können. Doch wir
versuchen Folgendes zu vermitteln: Wir haben die Macht, denn wir
produzieren; ohne uns gibt es keine wissenschaftlichen Zeitschriften,
und wir müssen uns und unsere Leistung in diesem Markt besser
platzieren.
Ist es praktikabel, was ebenfalls
diskutiert wird, die Vergabe von Fördermitteln zwingend an eine
spätere Open-Access-Veröffentlichung zu knüpfen? Immerhin gibt es
auch die „Berliner Erklärung über offenen Zugang zu
wissenschaftlichem Wissen“ von 2003, ein wichtiger Meilenstein der
Open-Access-Bewegung, die bis heute von 363 Institutionen
unterzeichnet wurde.
Ich habe schon vor mehr als 15
Jahren versucht, bei der DFG auf eine solche Regelung hinzuwirken. Das
war damals undenkbar. Heute ist das Bewusstsein für dieses Problem
gewachsen. In einigen Ländern wird so etwas sogar bereits
praktiziert. Das halte ich für einen guten Weg. Bei der Einstein
Stiftung Berlin haben wir das ebenfalls bereits diskutiert. Doch wir
können und wollen nicht als einzelne, vergleichsweise kleine
Institution vorpreschen. Richtiger wäre der Weg über die Deutsche
Forschungsgemeinschaft, denn es braucht eine einheitliche Regelung.
Das Gespräch führte Patricia Pätzold
www.TheCostofKnowledge.com [2]
[3]
- © TU Berlin/Pressestelle/ Ulrich Dahl
Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Martin Grötschel ist TU-Professor für Mathematik, Vizepräsident des Konrad-Zuse-Zentrums für Informationstechnik und Vorstandsvorsitzender der Berliner Einstein Stiftung sowie Generalsekretär der Internationalen Mathematiker-Vereinigung (International Mathematical Union, IMU)
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