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- Ernst Reuter-Platz mit zwei Fahrspuren 1960
[1]
- © PROMT - Produktive Medienarbeit
Der
Ernst-Reuter-Platz ist ein einzigartiges Dokument der 1950er-Jahre,
ein Manifest der autogerechten und aufgelockerten Stadt, ein Beispiel
für den staatsdirigistischen Städtebau West-Berlins. Er ist aber
auch ein außerordentlich starres Zeugnis, das ohne Weiterentwicklung
den inzwischen veränderten gesellschaftlichen Herausforderungen an
eine zukunftsfähige Stadt nicht mehr gewachsen ist.
Vom Knie zum Verkehrskreisel
Bis lange nach dem
Zweiten Weltkrieg erstreckte sich an der Stelle des heutigen
Ernst-Reuter-Platzes eine hochkomplexe Straßenkreuzung - das
berühmte "Knie", das seit der Zeit um 1700 den Knick der
axialen Verbindung zwischen den beiden Schlössern in Berlin und
Charlottenburg vermittelte. Mit der rasanten Entwicklung der
Großstadt Berlin gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Kreuzung
komplexer: Auf Grundlage des Stadterweiterungsplans von James Hobrecht
(1862) entstanden zwei neue Straßen: die Hardenbergstraße und die
Marchstraße. Die Bebauung am Knie fiel weitgehend den Bomben des
Zweiten Weltkrieges zum Opfer. Erst 1955 erarbeitete Bernhard Hermkes
im Auftrag des Senators für Bau- und Wohnungswesen einen
städtebaulichen Entwurf für die seit 1953 Ernst-Reuter-Platz
genannte Stadtbrache. Schon 1950 war aus der Kurfürstenallee die
Hertzallee geworden.
Der Entwurf von Bernhard Hermkes ist
uns durch Modellfotos überliefert. Ausgangspunkt war ein Kreisverkehr
um eine riesige Mittelinsel, auf der ein Wasserbecken mit
Springbrunnen vorgesehen war. Um die Freifläche herum erhoben sich
Solitärbauten in moderner Architektursprache. Auffällig war die
Höhendifferenzierung: Ein Hochhaus beherrschte die Komposition, die
zwei den Platz prägenden Dreier-Scheiben-Gruppen bildeten
bescheidenere Hochbauten, die meisten weiteren Gebäude, die nicht
direkt am Platz standen, waren deutlich niedriger.
Diese
Komposition erlaubte keine Verschiebung der Gebäude, keine Abkehr von
den geplanten Höhen, insbesondere erlaubte sie keine Anbauten. Jede
Abweichung hätte das Gesamtkonzept gestört. Ihre Realisierung setzte
eigentlich sozialistische Verhältnisse voraus, zumindest aber eine
äußerst starke Senatsbauverwaltung. Interessant ist ein weiterer
Aspekt: Die Komposition war rein formaler Art, Bauherren und Nutzer
standen noch nicht fest, sondern mussten erst gesucht werden.
Die Bebauung des Ernst-Reuter-Platzes startete unabhängig von der
Hermkes-Planung 1955 mit dem Komplex für die Fakultät Bergbau und
Hüttenwesen nach Plänen von Willy Kreuer. Der Neubau war 1959
fertiggestellt. Ein dreigeschossiger Flachbau riegelte die Hertzallee
ab und transformierte diese zu einem TU-internen Weg beziehungsweise
Parkplatz. Das Osram-Verwaltungsgebäude wurde als zweiter Bau nach
einem Entwurf von Bernhard Hermkes 1956-57 errichtet. Es folgte nach
Plänen von Paul Schwebes und Hans Schoszberger 1958-60 das Haus der
Elektrizität, auch Telefunken-Haus genannt, das mit seinen 80 Metern
bis heute den Platz beherrscht. Seit 1968 nutzt es die TU Berlin, seit
1974 ist es auch im Besitz der Universität. Nach Plänen von Rolf
Gutbrod baute man 1960-61 das IBM-Gebäude. Schließlich entstand
1960-62 das Büro- und Geschäftshaus der Rundfunkgroßhandlung
Karl-Heinz Pepper GmbH nach Plänen von Franz-Heinrich Sobotka und
Gustav Müller, der Flachbau diente als Bauzentrum Berlin.
Nach längerer Pause vollendete 1966-68 das Gebäude der Fakultät
Architektur nach Plänen von Bernhard Hermkes das Dreischeibenmodell
auf der Nordseite des Platzes. Es erhielt 1970 einen zusätzlichen
Flachbau nach Plänen von Hans Scharoun, der allerdings nicht mehr dem
städtebaulichen Konzept von 1955 entsprach. Erst Anfang der
1970er-Jahre entstanden das Raiffeisenhaus von Hans Geber und Otto
Risse (1974) sowie das Fernmeldegebäude von Bernhard Binder
(1972-74). Vor allem Letzteres markierte einen harten Bruch mit dem
städtebaulichen Konzept von 1955.
Fühlbare
Mängel eines Denkmals
Nicht nur die Gruppierung
der Gebäude, auch der große Freiraum war Gegenstand eines
umfassenden gestalterischen Konzepts. Werner Düttmann kontrastierte
den Verkehrskreisel mit einem strengen Rasternetz, das mit seinen zehn
mal zehn Meter großen Quadraten die Fußgängerbereiche und Teile der
Insel überzog. Auf der Insel plante er zwei Wasserbecken mit 41
Springbrunnen. Die Insel wurde 1959-60 angelegt, der
Fußgängertunnel, der diese Insel erschloss, wurde 1960
eingeweiht.
Der riesige, 4,8 Hektar große
Ernst-Reuter-Platz ist vor allem ein Verkehrskreisel. Ursprünglich
trafen sich dort die U-Bahn, Straßenbahnen, Autobusse, Privatautos,
Fahrräder und Fußgänger. Noch 1960 fuhr dort die Straßenbahn und
es gab nur zwei Fahrspuren. Der Platz wurde seither mehr und mehr zu
einer gigantischen Autoverkehrsschleuse, ohne dass diese wirklich
funktional war. Zudem führte der Vorrang des privaten Autoverkehrs zu
Ampelschaltungen, die es Fußgängern kaum erlauben, die großen
Straßen auf einmal zu überqueren. Selbst für Fahrradfahrer ist die
Querung des Platzes alles andere als ein Vergnügen.
Auffallend ist weiter, dass man auf dem Platz das strenge Rasternetz
von Werner Düttmann eigentlich gar nicht erleben kann, da es sich nur
von oben her erschließt - ein typisches Beispiel einer
Helikopterplanung. Die riesige Mittelinsel bietet in der wärmeren
Jahreszeit Wasserflächen mit einem Springbrunnen, der mit großem
Engagement wieder reaktiviert werden konnte. Diese ist aber schwer
zugänglich und aufgrund des Verkehrslärms wie des Fehlens weiterer
Angebote trotz ihrer zentralen Lage untergenutzt.
Die
introvertierten Bauten für private Verwaltungen, aber auch für die
TU Berlin erweckten von Anfang an den Eindruck einer gewissen Öde.
Die ursprünglich frei stehenden Solitäre versprachen öffentlichen
Raum, brachten aber vor allem Parkplatzflächen nach US-amerikanischem
Vorbild. Heute stehen das Gebäude der ehemaligen Fakultät für
Bergbau- und Hüttenwesen, das Osram-Haus, das Telefunken-Haus, das
IBM-Haus, das "Pepper"-Haus und das Gebäude für die
ehemalige Fakultät Architektur als Einzeldenkmale unter Schutz.
Geschützt als Gartendenkmal ist auch die von Werner Düttmann
gestaltete Platzanlage. Geschützt als Gesamtanlage sind weiter die
Räume der U-Bahn. Darüber hinaus ist der von Hermkes geplante Platz
insgesamt ein Denkmalbereich. Damit ist der Ernst-Reuter-Platz wie
kaum ein anderer Ort umfassend mit Denkmalschutz gepanzert.
Starre, unantastbare Formeln vitalisieren
Die Bauten und die Platzfläche wurden vor allem in der Kernbauzeit
zwischen 1955 und 1963 verwirklicht. Insofern kann man guten Wissens
behaupten, der Platz wird im Jahr 2013 fünfzig Jahre alt. Der Platz,
aber nicht der Ort! Heute erscheint der Ernst-Reuter-Platz als ein
Platz ohne Geschichte und ohne Zukunft. Oder genauer: mit einer rabiat
verkürzten Geschichte, denn nichts erinnert mehr an die gut
150-jährige Geschichte des Ortes vor der Anlage des Platzes. Der
Ernst-Reuter-Platz tut sich aber auch mit seiner Zukunft sehr schwer,
da es bislang nicht absehbar ist, wie dieser Platz aufgrund seiner
starren und unantastbaren städtebaulichen Form vitalisiert werden
kann.
Das größte Problem wie Potenzial betrifft die
Freiflächen: die Fußgängerbereiche vor den Gebäuden, die
Verkehrsspuren und die große Insel. Entscheidend ist der schrittweise
Umbau der Verkehrsflächen. Denn der Verkehr wird sich verändern, der
Fahrradverkehr und öffentliche Verkehr werden zunehmen, der heute den
gesamten Platz belastende Autoverkehr wird verträglicher werden, die
Spuren für den Autoverkehr können mittelfristig reduziert werden.
Das wird den Eindruck des Platzes radikal verändern - ohne Abrisse
und Neubauten. Eine Ahnung davon vermittelt das Luftbild des Platzes
mit seinen wenigen Fahrspuren im Jahre 1960.
Wen und was
aber soll der Ernst-Reuter-Platz in Zukunft repräsentieren? Drei der
vier bedeutendsten Gebäude des Platzes werden von der TU Berlin
genutzt, aber eigentlich merkt das keiner. Dieser Platz könnte der
wichtigste Repräsentationsraum der TU Berlin sein, ist es aber nicht.
Das muss verändert werden! Ja mehr noch, die in ihrer jetzigen Form
wenig taugliche Mittelinsel sollte und könnte weit intensiver durch
die TU Berlin belebt werden.
In den letzten Jahren wurde
bereits viel an diesem Ort investiert. Der Platz wird aber nur dann
eine Zukunft haben, wenn es gelingt, ihn über isolierte
Einzelmaßnahmen hinaus umzubauen, ohne seinen besonderen Charakter zu
opfern. Doch das ist eine Herkulesaufgabe. Um den Platz zukunftsfähig
zu machen, bedarf es daher einer politisch von höchster Stelle
gewollten und geförderten konzertierten Aktion. Dafür muss der
Denkmalschutz nicht aufgegeben, wohl aber flexibilisiert
werden.
Lesen Sie auch:
- Masterplan für den Ernst-Reuter-Platz [2]
- Das Freiheitspathos ist historisch geworden [3]
- Stadtgestaltung - welche Rolle spielt die Kunst? [4]
- Techno und weiße Mäuse [5]
- Mehr Grün und Leben gewünscht [6]
"TU intern" Januar 2012
- Online-Inhaltsverzeichnis [7]
- Hochschulzeitung "TU intern" - Januar 2012 [8]
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