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In der Skull-Schmelzanlage wird Diamant-Ersatz hergestellt. Er dient zur Grundlagenforschung für Sensoren, Brennstoffzellen und Batterien
- Bei der Kristallzüchtung in der Skull-Schmelzanlage entstehen sogenannte Einkristalle. Aus ihnen kann auch teurer Diamant-Ersatz geschliffen werden
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- © TU Berlin/PR/Felix Noak
- Stefan Berendts, Eva Maria Heppke und Martin Lerch diskutieren das Ergebnis eines Schmelzvorganges
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- © TU Berlin/PR/Felix Noak
Ein- bis zweimal in der Woche geht es hinter einer malvenfarbenen Tür im zweiten Stock des Alten Chemie-Gebäudes im wahrsten Sinne des Wortes heiß her. Bei bis zu 3000 Grad Celsius werden durch ein Schmelzverfahren Kristalle gezüchtet. Als Ausgangsstoffe verwenden die Wissenschaftler der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Martin Lerch meist Cerdioxid oder Zirconiumdioxid, beides Stoffe, die auch in der Natur vorkommen. Cerdioxid ist ein Oxid des Metalls Cer („Seltene Erden“), Zirconiumdioxid ein Oxid des Schwermetalls Zirconium.
Die Ausgangsmaterialien kommen in Pulverform in einen Tiegel, der
von 20 kupfernen Kühlstäben aufgebaut ist. Die Kühlstäbe werden
mit Wasser durchströmt. Der Tiegel wird in eine Spule geschoben, die
sich in einem aus Hochleistungsstahl bestehenden Kessel befindet. Für
den Schmelzvorgang muss der Kessel verschlossen und der
Hochfrequenzgenerator eingeschaltet werden. Er liefert das elektrische
Wechselfeld, das Zirconiumdioxid bei etwa 2700 Grad Celsius zum
Schmelzen bringt. Das Aufschmelzen selbst dauert etwa 30 Minuten.
Danach wird der Tiegel ganz langsam nach unten aus der Spule gezogen.
Während dieses Prozesses verfestigt sich das Material, und
Kristallsäulen wachsen von unten nach oben. Acht Stunden dauert das.
„Dann sind die Kristalle geboren“, sagt Martin Lerch. Während des
gesamten Prozesses werden pro Minute 330 Liter Kühlwasser durch die
Anlage gepumpt.
Dieses Verfahren, hochschmelzende Verbindungen in
die flüssige Phase zu überführen und zum Kristallisieren zu
bringen, nennt sich Skull-Schmelzen. „Skull“ ist das englische
Wort für „Schädel“, da der Tiegelinhalt nach dem Prozess die
Form eines Schädels hat. Martin Lerch könnte aus den so produzierten
Kristallen auch teuren Diamant-Ersatz herstellen lassen, aber als
Forscher interessiert ihn das nicht. „Wir verfolgen in meiner
Arbeitsgruppe einen speziellen Ansatz. Es wird versucht, Ionen in
Festkörpern beweglich zu bekommen, die bislang als nicht mobil
gelten. Wir wollen also neue Eigenschaften in Festkörpern generieren,
die es bisher nicht gibt. Wir waren die Ersten, denen es gelang, zu
zeigen, dass Stickstoff-Anionen in einem Festkörper bei hohen
Temperaturen mobil sein können“, sagt Martin Lerch.
Möglich
wurde dieser Nachweis nur mit den Einkristallen, die sein Team
gezüchtet hatte. Von wirklich hochschmelzenden Materialien
Einkristalle herzustellen ist sehr schwer, und dazu braucht es ein
solches Kristallzüchtungslabor.
Dasjenige an der TU Berlin ist
zudem ein Unikat („Reaktions-Skull-Schmelzanlage“). Martin Lerch
entwickelte es zusammen mit einem Kollegen der Goethe-Universität
Frankfurt am Main und der Firma SurfaceNet. Die Deutsche
Forschungsgemeinschaft finanzierte es 2006 im Rahmen eines
Verbundprojektes mit 350 000 Euro. „Unsere Aufgabe in dem Projekt
war es, die Einkristalle herzustellen und sie dahin gehend zu
untersuchen, ob sie die richtige Zusammensetzung und Kristallstruktur
haben. Wir benötigen sie für unsere Grundlagenforschung. Sie sind
zum Beispiel für das tief gehende Verständnis von Brennstoffzellen
essenziell“, erklärt Martin Lerch.
- Der Schmelztiegel wird befüllt
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- © TU Berlin/PR/Felix Noak
- Eva Maria Heppke öffnet den Kristallzüchtungsbehälter, in den der befüllte Schmelztiegel eingesetzt wird
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- © TU Berlin/PR/Felix Noak
- Martin Lerch schaut mit einer Schweißerbrille durch das Schauglas in den Kristallzüchtungsbehälter und kann so den Schmelzvorgang beobachten
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- © TU Berlin/PR/Felix Noak
- Stefan Berendts beim Einschalten der Hauptstromversorgung des Generators
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- © TU Berlin/PR/Felix Noak
Prof. Dr. Martin Lerch, Leiter des Fachgebietes Anorganische Chemie/Festkörperchemie
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- © TU Berlin/PR/Felix Noak
Die Züchtung von großen Einkristallen ist unabdingbar für ein wirkliches Verständnis von Transportvorgängen in Festkörpern. Nur durch Untersuchungen an solchen Kristallen lassen sich Einflüsse ausschalten, die die Messungen an den sonst üblichen keramischen Proben verfälschen. Ohne Skull-Schmelzanlage sind geeignete Einkristalle von extrem hochschmelzenden Materialien praktisch nicht zu bekommen. Sie ist also von kaum zu überschätzender Bedeutung für unsere Grundlagenforschung an Brennstoffzellen, Sensoren und Batterien.
Eva Heppke, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Fachgebietes Anorganische Chemie/Festkörperchemie
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- © TU Berlin/PR/Felix Noak
Es ist besonders interessant, neue Materialien als große Einkristalle herstellen zu können. Diese Einkristalle sind nicht nur für meine Forschung von großer Wichtigkeit, sondern auch für Kooperations-Arbeitsgruppen anderer Universitäten, die weiter gehende Messungen an diesen Einkristallen durchführen. Die Möglichkeit zu haben, an einer so besonderen Anlage zu arbeiten und direkt an der Entstehung solcher Einkristalle teilnehmen zu können, ist für mich als Wissenschaftlerin wirklich großartig. Weiterhin hat es mir viel Spaß gemacht, diese Anlage im Rahmen der „Langen Nacht der Wissenschaften“ einem größeren Publikum vorzustellen.
Dr. Stefan Berendts, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Fachgebietes Anorganische Chemie/Festkörperchemie
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- © TU Berlin/PR/Felix Noak
Die Skull-Schmelzanlage ist eine ganz besondere Anlage für mich. Sie hat mich während meiner Promotion viele Stunden begleitet, und auch heute verbringe ich viel Zeit mit ihr. Es sind nicht alle Versuche von Erfolg gekrönt, da zum Züchten viel Erfahrung, Intuition und manchmal auch Glück vonnöten sind. Im einen Moment scheint alles stabil zu verlaufen, und in der nächsten Sekunde tritt ein heftiger Schmelzaustritt auf, der die Arbeit von Stunden sofort zunichtemacht. Es freut mich aber, dass dennoch sehr interessante und schöne Kristalle mit der Skull-Schmelzanlage gezogen werden konnten, die so auf der Welt einzigartig sind.
- Auf dem TU-Campus erinnert eine Stele des Künstlers Ralf Sander an den Chemiker Martin Heinrich Klaproth (1743– 1817). Er entdeckte die Elemente Cer und Zirconium, die für das Kristallzüchtungslabor wichtig sind. Außerdem entdeckte er das Uran. Die Stele wurde 1996 auf dem TU-Campus aufgestellt
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- © TU Berlin/PR/Ulrich Dahl
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