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Das Citizen-Science-Projekt „Mind the Fungi!“ entwickelt Baustoffe, Kleidung und Verpackungsmaterial aus Pilzkulturen
- Pilze in der Kunst: Skulptur „Champi(gn)ons“, 2017, von der Künstlerin und Biotechnologin V. meer
[1]
- © Martin Weinhold
- Im Labor am Bioreaktor
[2]
- © Martin Weinhold
Wir sind es gewohnt, Pilze zu uns zu nehmen: Brot, Käse, Wein und Bier werden mit Hilfe von Pilzen hergestellt. So auch eine Vielzahl unserer Medikamente. Aber können wir uns auch vorstellen, auf Möbeln aus Pilzen zu sitzen, in Häusern aus ihnen zu wohnen oder Kleidung aus Pilzen zu tragen? Vera Meyer kann das. Sie ist Professorin und Leiterin des Fachgebietes Angewandte und Molekulare Mikrobiologie und hat das Citizen-Science-Projekt „Mind the Fungi!“ ins Leben gerufen. Für sie sind Pilze faszinierend. „Weltweit gibt es geschätzt rund sechs Millionen verschiedene Arten, alle mit spezifischen Eigenschaften. Einige davon bieten uns heute die Chance, unsere erdölbasierte Wirtschaft in eine biobasierte umzuwandeln. Dabei kommt ihnen sogar eine Pionierfunktion zu.“ „Eine Pilz-Revolution steht uns bevor“, wie die „Scientific American“ sogar kürzlich titelte.
Das Team um die Biotechnologin Vera Meyer experimentiert mit
verschiedenen vielseitigen und nützlichen Pilzen. Auf nachwachsenden
pflanzlichen Rohstoffen produziert einer Enzyme und Zitronensäure,
ein anderer Nahrungsmittel, ein dritter arbeitet als kleine
Chemiefabrik bei der Produktion von Medikamenten. Nun werden jene
Pilze erforscht, mit denen man Textilien, Möbel oder Verpackungen
herstellen kann: der ideale Ersatz für erdölbasierte Materialien wie
Plastik und Kunststoffe, für tierisches Leder und sogar für
Baustoffe wie Rigips.
In den Bioreaktoren des Labors auf dem
TIB-Gelände der TU Berlin im Wedding werden die Pilze kultiviert.
Dies auch in Zusammenarbeit mit dem TU-Labor für Bioverfahrenstechnik
von Prof. Dr. Peter Neubauer. Die Wissenschaftler*innen untersuchen
das Erbgut der Pilze, analysieren deren Genome, die jeweils aus rund
10 000 verschiedenen Genen bestehen, und verändern diese gezielt
durch gentechnische Methoden. Eine besondere Rolle spielt bei den
Citizen-Science-Projekten aber auch der Einbezug von Expertise, Ideen,
Visionen, Gedanken und Bedenken von Wissenschaftler*innen aus ganz
anderen Disziplinen, von Künstler*innen, Designer*innen und von
interessierten Bürger*innen. So halten die Forscher*innen
öffentliche Vorträge, veranstalten Diskussionsrunden und
Workshops.
„In der Region Berlin-Brandenburg haben wir in
öffentlichen Pilzsammelaktionen im Wald bereits mehr als 70
verschiedene Baumpilzarten sammeln und dann im Labor identifizieren
können“, so Vera Meyer. „Denn für viele
Anwendungsmöglichkeiten, die wir hier erforschen, spielt der
regionale Aspekt eine große Rolle.“ Das Forscherteam von „Mind
the Fungi!“ kultiviert die Pilze auf Pflanzenabfällen und Biomasse
wie Stroh, Holzspänen oder Flachs. Aus dieser Kombination entwickelt
sich während der Kultivierung dann ein fester Verbundstoff – ein
reines Biomaterial, aus dem man Kleidung entwickeln, Möbel oder
Häuserwände bauen kann, die zudem noch weniger entflammbar sind,
weniger CO2 beim Verbrennen emittieren und nach Gebrauch kompostierbar
sind. Und nachhaltig: Circa 10 000 Liter Wasser verbraucht die
Herstellung von einem Kilo Baumwolle. Die gleiche Menge Textil aus
Pilzen benötigt theoretisch nur 100 Liter. Ob pilzbasierte Materialen
tatsächlich nachhaltig hergestellt werden können und über einen
besseren CO2-Fußabdruck verfügen als herkömmliche Materialen und
Produkte, analysiert das TU-Fachgebiet „Sustainable Engineering“
von Prof. Matthias Finkbeiner, das ebenfalls mit im Boot ist. So wie
viele andere Fachgebiete der Fakultät III Prozesswissenschaften.
Doch hinter „Mind the Fungi!“ steckt noch eine andere Dimension.
Vera Meyer, die kürzlich auch in die Mitgliederrunde der Deutschen
Akademie der Technikwissenschaften „acatech“ aufgenommen wurde,
fasziniert ebenso die optische und haptische Ästhetik des Pilzes,
dessen filigrane Strukturen sie oft durch das Mikroskop betrachtet.
Unter dem Namen „V. meer“ ist die Biotechnologin auch als
Künstlerin aktiv, malt und stellt Skulpturen aus Baumpilzen her. Dass
heute so stark zwischen Wissenschaft und Kunst getrennt wird, ist aus
ihrer Sicht hinderlich für innovative Ideen und damit für die
Lösung von Menschheitsproblemen. „Leonardo da Vinci war noch
gleichzeitig Künstler, Erfinder, Ingenieur und Anatom. Der
Naturwissenschaftler und Entdecker Alexander von Humboldt tauschte
sich mit dem Dichter und Wissenschaftler Johann Wolfgang von Goethe
und dem Philosophen, Historiker und Mediziner Friedrich Schiller
aus“, zählt sie auf. Der künstlerische Blick auf ein Objekt oder
einen Organismus könne Wissenschaftler*innen auch heute auf
unerwartete Ideen bringen, sich ihrem Forschungsgegenstand aus einer
ganz anderen Perspektive zu nähern. Daher ist als Verbindung zur
Kunst- und Designszene auch das Art Laboratory Berlin Teil des
Projektteams „Mind the Fungi!“. Und die Forscher*innen sehen in
der Inter- und Transdisziplinarität dieses Projekts ein großes
Zukunftspotenzial: „Unser Ziel ist die Beantragung eines
DFG-Sonderforschungsbereichs.“
Vom 23. Januar bis
14. Februar 2020 wird „V. meer“ ihre erste große Ausstellung
in der Pankower Degewo-Galerie „Remise“, Pankgrafenstraße 1,
13187 Berlin, zeigen.
„Mind the Fungi!“ in der Öffentlichkeit
- färbten Textilien mit mikrobiellen Pigmenten oder stellten Verbundstoffe aus Baumpilzen her. Prof. Dr.-Ing. Vera Meyer (l.) mit Regine Rapp, Co-Kuratorin der Kunst- und Ausstellungsplattform Art Laboratory Berlin, mit der sie im „Mind the Fungi!“- Projekt eng zusammenarbeitet, bei der Eröffnung des „Futuriums“ Anfang September 2019
[3]
- © TU Berlin/Stefan Junne
Das Potenzial der Pilzbiotechnologie machen die Wissenschaftler*innen, Künstler*innen und Designer*innen derzeit auch im Haus der Zukünfte, im „Futurium“ am Alexanderufer in Berlin, öffentlich. Hier zeigen sie Beispiele, wie Pilze auf pflanzlichen Reststoffen wachsen – auf Holz oder Stroh – und sich mit ihnen zu einem festen Material verbinden, geeignet sogar zum Bauen. Auch für das diesjährige Forum für Wissenschaftskommunikation in Essen, veranstaltet von Wissenschaft im Dialog (WiD), wurde „Mind the Fungi!“ als einer von 50 Beiträgen aus 160 Einreichungen ausgewählt. Im Sommersemester entwickelten Studierende der Biotechnologie der TU Berlin gemeinsam mit Kommiliton*innen des Produktdesigns der Kunsthochschule Weißensee im Rahmen des „Greenlab 8.0“ sechs Wochen lang Ideen für neuartige biobasierte Produkte: Sie produzierten Gebrauchsgegenstände aus Textilabfällen, die sie durch die Pilzfermentation in stabile dreidimensionale Objekte transformierten, färbten Textilien mit mikrobiellen Pigmenten oder stellten Verbundstoffe aus Baumpilzen her.
https://futurium.de/de/feature-art-lab [4]
Citizen-Science-Projekte an der TU Berlin:
- Forschen mit der Gesellschaft [5]
- "Wir müssen uns verständlich machen" [6]
- Messen für die Forschung [7]
- Die Pilz-Revolution [8]
- Gemeinsam für mehr Sicherheit im Fahrradsattel [9]
- Das große Fressen oder der stille Genuss [10]
- "Das Wissenschaftssystem muss sich ändern" [11]
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