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Martina Löw will mit ihrem Sonderforschungsbereich über die Analyse von Räumen zu einem besseren Verständnis aktueller Konflikte gelangen
- Martina Löw analysiert die Umgestaltung öffentlicher und sozialer Räume in gesellschaftlichen Veränderungsprozessen
[1]
- © TU Berlin/PR/Jacek Ruta
Frau
Professor Löw, was wollen Sie in Ihrem Sonderforschungsbereich
„Re-Figuration von Räumen“ erforschen?
Unser Fokus
liegt auf drei Fragen. Die erste Frage ist: Welche neuen Formen von
Raum bilden sich im Zuge von Globalisierung, Digitalisierung und der
Zunahme von Mobilität heraus? Die zweite Frage lautet: Welche
Machtverhältnisse gehen damit einher? Und die dritte: Was sind die
wesentlichen Merkmale der Re-Figuration von Räumen, also der
Veränderung von Räumen im Zuge von Globalisierung und
Digitalisierung?
Können Sie ein Beispiel nennen?
Man denke nur an die
radikale Veränderung des Raumwissens von Kindern und Jugendlichen,
die Raum nicht länger nur als Territorium wahrnehmen, wie das noch
bis in die 1970er-Jahre hinein der Fall war. Durch zunehmende
Digitalisierung und Mobilität verändert sich das Raumwissen. Es
stellt sich also die Frage, ob das althergebrachte Modell eines
Containerraums, das uns seit der Moderne begleitet hat, noch seine
Gültigkeit hat. Nehmen wir das Beispiel der Schulhöfe. Diese werden
heute zunehmend durch Videokameras überwacht. Das heißt, die
Jugendlichen kommunizieren in der Pause territorial mit anderen
Jugendlichen, aber sie kommunizieren auch mit einem externen
Kontrollzentrum. Sie setzen sich zu diesem Kontrollzentrum in
Beziehung, spannen zu diesem Kontrollzentrum einen Raum auf, sodass
sie gleichzeitig in zwei verschiedenen Räumen agieren. Raum wird
insofern komplexer. Wie sich dabei welche neuen Räume herausbilden
– das wollen wir untersuchen.
Welche Probleme bilden den Ausgangspunkt für Ihre
Forschungen?
Im Wesentlichen ist es ein Problem: Wir stellen
fest, dass es parallel zur Beschleunigung des Lebens auch etwas gibt,
was wir Polykontexturalisierung von Raum nennen. Darunter versteht
man, dass wir in einer Handlungssituation gleichzeitig sehr
unterschiedliche Räume aufspannen müssen – siehe das eben genannte
Beispiel der Schulhöfe –, Räume unterschiedlicher Reichweite und
Qualität. Unterschiedliche Kontexte werden relevant gemacht. Das kann
man sich besonders gut daran vorstellen, dass Beobachtungs- und
Bildschirmtechnologien im Alltag immer bedeutender werden. Dadurch
werden ferne Ereignisse vor Ort präsent. Das heißt, nah und fern
verschiebt sich, Fernes wird in Nahsituationen wichtig und wir handeln
dann in sehr komplexen räumlichen Bezügen. Oder nehmen wir die
Orientierung im Raum. Wir vertrauen die Navigation durch die
Stadträume zunehmend digitalen Systemen an. Welche Folgen hat
das?
Welche konkreten Räume werden Sie untersuchen?
Wir
untersuchen Grenzräume, die ja immer wichtiger werden. Wir
untersuchen Räume des Tourismus, wirtschaftliche Räume, politische
Räume, Schulräume, und sehr wichtig sind städtische Räume.
Sie sagen, Raumanalyse sei Gesellschaftsanalyse. Können Sie an
einem Beispiel erläutern, wie Sie über eine Raumanalyse zu einem
besseren Verständnis aktueller Konflikte beitragen und damit die
Frage beantworten: In welcher Gesellschaft leben wir heute?
Es ist im Moment in Europa so, dass knapp die Hälfte der
Bevölkerung sagt, Globalisierung macht ihnen Angst. Die andere
Hälfte sagt, Globalisierung ist wichtig und ist eine große Chance.
Wir erleben derzeit so etwas wie eine Spaltung der Gesellschaften in
Europa. Wenn man sich das genauer anschaut, dann steht dahinter nicht
einfach nur ein Rechts-links- oder ein Arm-reich-Schema, sondern damit
einhergehend werden Fantasien artikuliert darüber, was eigentlich die
Räume sind, die uns in Zukunft Sicherheit und Wohlbefinden geben,
also das Gefühl von Stabilität, aber auch von Freiheit bieten. Und
da vertrauen die einen auf Schließung, Begrenzung und auch Exklusion
des Fremden. Und die anderen vertrauen wiederum auf Zirkulation,
Austausch und Entgrenzung. Aber beides sind Raummodelle, die unser
Handeln und Fühlen leiten. Die Raumanalyse eröffnet uns die Chance,
eine ganz neue Perspektive auf diese Konflikte einzunehmen und das,
was gemeinsam verhandelt wird, nämlich genau zu analysieren wie wir
mit Raum heute umgehen und was wir von Raum erwarten.
Sehen Sie auch das Video über den SFB: https://www.youtube.com/watch?v=a-3ce9vXYZI&feature=youtu.be [2]
00710/TU_intern/Bilder/2017/Dezember/ProfLoew29.01309.j
pg
ture=youtu.be