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Kann der Verkehr auf Energie aus fossilen Brennstoffen verzichten?
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- © pixelio.de/Rainer Sturm
Was der Bundesrat im Oktober 2016 beschloss, löste eine umfangreiche Diskussion aus, denn es hat weitreichende Konsequenzen: Spätestens ab dem Jahr 2030 sollen möglichst europaweit nur noch emissionsfreie PKW zugelassen werden – das „Aus“ für Diesel- und Benzinfahrzeuge. Um diesem Ziel näherzukommen, soll die EU-Kommission prüfen, ob die Steuer- und Abgabenpraktiken in diesem Sinne förderlich seien. Doch ist das hohe Ziel beim Stand der bisherigen technologischen Entwicklungen zu erreichen? „TU intern“ fragte zwei Fachleute nach ihrer Meinung.
- Die Klimabilanz von Elektrofahrzeugen ist nur dann positiv, wenn sie mit regenerativ erzeugtem Strom betrieben werden. Prof. Dr.-Ing. Dietmar Göhlich, Leiter des Fachgebiets Methoden der Produktentwicklung und Mechatronik (MPM), Sprecher des vom BMBF geförderten Forschungscampus Mobility2Grid
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- © Kai Abrsch
Emissionsfreier Verkehr – diese Forderung steht
mittlerweile auf der Agenda zahlreicher kommunaler bis europäischer
Initiativen. So forderte erst kürzlich der Deutsche Bundesrat die EU
auf, darauf hinzuarbeiten, dass spätestens ab 2030 EU-weit nur noch
emissionsfreie PKW zugelassen werden. Die Ziele sind Klimaneutralität
– durch die Reduzierung der Treibhausgasemissionen – und eine
Verbesserung der Luftqualität, insbesondere in Städten – durch
reduzierte Schadstoffemissionen. Doch mit welchen Technologien lassen
sich Treibhausgas- und Schadstoffemissionen nachhaltig reduzieren?
Durch Biokraftstoffe lässt sich die Klimaneutralität zumindest
theoretisch auch mit konventionellen Verbrennungsmotoren erreichen.
Biokraftstoffe aus inländischer Biomasse sind allerdings begrenzt:
Bis 2030, so schätzt man, werden sie lediglich zehn Prozent des
Energiebedarfs für den Straßenverkehr ausmachen. Der Import ist
kritisch. Die Flächennutzung steht in Konkurrenz zur
Nahrungsmittelproduktion. Alternative Verfahren zur Gewinnung
synthetischer Kraftstoffe sind sehr energieintensiv und werden aus
heutiger Sicht keinen wirtschaftlichen Durchbruch erleben. Zudem
bleibt beim Einsatz von Verbrennungsmotoren die Feinstaub- und
Stickoxid-Belastung der Atemluft bestehen.
Elektrofahrzeuge hingegen sind lokal emissionsfrei, sie sind bei
niedrigen Fahrgeschwindigkeiten leiser, erzielen im städtischen
Verkehr mit niedrigen Geschwindigkeiten und hohem Stop-and-go-Anteil
wesentlich höhere energetische Wirkungsgrade und reduzieren somit den
Primärenergiebedarf. Auf den ersten Blick können sie damit einen
wesentlichen Beitrag zur urbanen Lebensqualität leisten.
Doch
die Klimabilanz von Elektrofahrzeugen ist nur dann positiv, wenn sie
mit regenerativ erzeugtem Strom betrieben werden. Der klimapolitische
Nutzen ist also eng mit dem Gelingen der Energiewende verknüpft.
Aktuell wird in Deutschland erst ein knappes Drittel des Strombedarfs
aus regenerativen Quellen gedeckt. Es sind also noch viele Fragen
offen: Wie kann der Ausbau der erneuerbaren Energien beschleunigt
werden? Wie können durch die Einbindung von E-Fahrzeugen in
intelligente Versorgungsnetze maximale Effizienz und
Versorgungssicherheit erzielt werden? Und besonders dringend: Wie kann
der Markthochlauf elektrischer Fahrzeuge beschleunigt werden? In
Deutschland und Europa verläuft dieser sehr schleppend. In China
dagegen wurden allein in den ersten acht Monaten dieses Jahres bereits
240 000 E-Autos und -Busse zugelassen. Hindernisse sind die
begrenzte Reichweite, die hohen Kosten, aber insbesondere auch die
fehlende Ladeinfrastruktur. Die Bundesregierung fördert nun den
Aufbau eines flächendeckenden Netzes von Ladestationen in den
nächsten drei Jahren mit 300 Millionen Euro.
In dicht besiedelten Städten kann die E-Mobilität zwar ihre ökologischen Vorteile am besten ausspielen, doch ein 1:1-Ersatz der privaten Fahrzeuge durch E-PKW wird kaum möglich sein, allein schon weil der Ausbau der Ladeinfrastruktur Grenzen hat. Dennoch sind die Bedingungen für den Erfolg der E-Mobilität in der Stadt günstig. So werden bereits heute Fahrzeugflotten gemeinsam genutzt und der intermodale Verkehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln und Kleinstfahrzeugen wie E-Fahrrädern steigt. Die Automobilindustrie reagiert darauf: Fahrzeughersteller wollen und werden sich in Zukunft zu Mobilitätsanbietern weiterentwickeln.
Wir Forscher müssen nun Antworten auf viele technische und
ökonomische Fragen finden, die mit der Einführung emissionsfreier
Antriebstechnologien und Systemlösungen zusammenhängen. Der
grundsätzlich eingeschlagene Weg in Richtung E-Mobilität ist
jedenfalls der richtige, und für eine Übergangszeit ist die
Kombination von Elektro- und Verbrennungsmotor in sogenannten
„Plug-in-Hybriden“ durchaus eine gute Lösung.
Der
Beitrag entstand unter Mitwirkung der Arbeitsgruppe Electric Transport
Solutions (ETS) am Fachgebiet MPM.
www.mpm.tu-berlin.de [3]
- Tatsächlich gibt es keine technische Lösung, die einen umfassenden Ersatz des Verbrennungsmotors ermöglicht. Prof. Dr.-Ing. Roland Baar, Leiter des TU-Fachgebiets Verbrennungskraftmaschinen
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- © privat
Die komplexe Diskussion um zukünftige Antriebssysteme ist nicht durch ein einfaches Entweder-oder zu klären. Die derzeitigen Möglichkeiten von Elektrofahrzeugen lassen ein ernsthaftes Verbot von Verbrennungsmotoren ab 2030 nicht zu. Vielmehr ist die Frage, wie künftig CO2-neutrale Mobilität erreicht wird. Hierfür gibt es verschiedene technische Lösungen, und Verbrennungsmotoren bieten auch langfristig sehr ansprechende Potenziale.
Ich staune, wie leichtfertig bei uns vom Ende von
Verbrennungsmotoren gesprochen wird. Ein Land, das die Entwicklung und
Produktion dieser Technologie wie kein anderes dominiert hat, gibt sie
auf, ohne eine technische Alternativlösung. Die aktuelle Diskussion
hat sich von den Fakten gelöst und wird von Dogmen bestimmt.
E-Mobilität hat mehrere Schwächen, vielleicht unüberwindbare.
Unsere Elektrizität wird heute noch lange nicht CO2-neutral
produziert. Mit dem aktuellen deutschen Strommix erzeugen E-Fahrzeuge
mehr CO2 als moderne Verbrennungsmotoren. Dass sich diese Situation
schnell ändern kann, erscheint zweifelhaft. Einerseits ist es
gesellschaftlich gewollt, die Kernenergie abzuschaffen, andererseits
gibt es unter anderem zunehmenden Widerstand gegen Windenergie. Und
selbst wenn unsere Elektrizität CO2-frei erzeugt wird, liegt die
Zukunft der Mobilität in Verbrennungsmotoren. Besonders die
Aufrechterhaltung des Langstreckenflugs erfordert eine Alternative zu
fossilen, flüssigen Kraftstoffen. Diese sind heute in Form
biologischer und synthetischer Kraftstoffe bereits greifbar.
Elektrizität wird in synthetischen Kraftstoffen wie in Batterien
chemisch gespeichert. Kraftstoffe haben dabei zwei Vorteile:
Energiedichte und Tankgeschwindigkeit. Die aktuelle Diskussion lässt
fälschlicherweise glauben, mit Batterien könne absehbar ein
vergleichbares Niveau erreicht werden. Tatsächlich gibt es keine
technische Lösung, die einen umfassenden Ersatz des
Verbrennungsmotors ermöglicht. Wollen wir wirklich auf
Elektromobilität setzen, deren Agenda nicht mehr hinterfragt wird und
deren Zukunft primär von Hoffnung getragen ist?
Der
Verbrennungsmotor darf nicht abgeschrieben werden. Die eigentliche
Erfindung dahinter sind nicht Kolben, Einspritzsysteme oder
Abgasturbolader, sondern es ist der Kraftstoff, der wiederum keine
Erfindung des Menschen ist. Die Schöpfung hat Kohlenwasserstoff als
idealen Energiespeicher erfunden. Wir merken es „am eigenen Leib“,
wie Energie gespeichert wird. Auch Benzin und Diesel sind solche
Kohlenwasserstoffverbindungen. Doch wir Menschen wollen es besser
wissen und Energie in Batterien speichern.
In einer zunehmend virtuell werdenden Welt wird vielleicht
vergessen, dass Energie zwar nicht sichtbar ist, aber doch real
existiert und enorme Ressourcen benötigt. Die Verbrennung wird
verteufelt, obwohl Feuer der Menschheit viel Gutes geschenkt hat, wie
Schutz, Wärme und Licht. Dabei liegt das Problem darin, dass wir
Menschen verschwenderisch viele Ressourcen verbrauchen. Doch dies wird
nicht reduziert, indem man von Verbrennungsmotoren auf Elektromotoren
umstellt. Das Gegenteil ist der Fall.
Die Frage der Technologie
künftiger Antriebsstränge sollte im sportlichen Wettbewerb
ausgetragen werden. Doch dazu muss man die Realität vollständig
aussprechen. Naturgesetze lassen sich nicht verbiegen. Ich stelle mich
jeder ehrlichen Diskussion, um zu zeigen, dass vermeintlich alte
Technologie zukunftsweisend ist. Ein „Wettbewerb der Systeme“ ist
auf jeden Fall ein guter Weg, die Zukunft der Antriebssysteme
glaubwürdig zu bewerten. Die Zukunft wird geprägt von größerer
Vielfalt von Energieträgern und Antriebssystemen. Elektrofahrzeuge
für bestimmte lokale Anwendungen, Verbrennungsmotoren für
Langstrecken und LKW sowie Hybridantriebe, die die Vorteile beider
Systeme vereinen. Wir als Wissenschaftler müssen dabei helfen,
innovative und nachhaltige Lösungen zu erarbeiten. Mit Mut,
Ressourcen und nicht zuletzt Lust zur Forschung. Denn ich bin sicher,
dass der Verbrennungsmotor uns alle überleben wird.
www.vkm.tu-berlin.de [5]
Lesen Sie auch
- Die beiden Autoren Prof. Dr.-Ing. Dietmar Göhlich und Prof. Dr.-Ing. Roland Baar in der Debatte: „Elektroautos – Haut der Benziner schon ausgedient?“ des Tagesspiegels [6]
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