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Expertenkreis der Bundesregierung gibt Empfehlungen gegen Antisemitismus in Deutschland
Judenfeindlichkeit, Klischees und Vorurteile sind
in Deutschland weiterhin stark verbreitet. Das ist das zentrale
Ergebnis des „Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus“ der
Bundesregierung, der das Ergebnis einer mehr als zweijährigen Studie
Mitte Januar 2012 veröffentlichte. Zu den Koordinatoren gehört
TU-Forscherin Dr. Juliane Wetzel vom Zentrum für
Antisemitismusforschung der TU Berlin zusammen mit Prof. Dr. Peter
Longerich vom Royal Holloway College der University of London.
„Bei 20 Prozent der Befragten ist ein latenter
Antisemitismus zu verzeichnen. Vorurteile sind weit verbreitet,
Klischees tief verwurzelt. Sie basieren oft auf Unwissen über Juden
und Judentum“, so Juliane Wetzel. „Einerseits leben die
,klassischen‘ antisemitischen Bezichtigungen weiter, wie der
Verschwörungsvorwurf, Juden besäßen zu viel Einfluss oder seien
wegen ihres eigenen Verhaltens selbst ,schuld‘ an ihrer Verfolgung.
Andererseits haben sich die meisten Ressentiments und Vorwürfe gegen
Juden als Reaktion auf den Holocaust und die Existenz des Staates
Israel herausgebildet.“
Als Beispiel führte Juliane
Wetzel einen Fall aus der jüngsten Vergangenheit an: „Als beim
,Eurovision Song Contest‘ die israelische Jury den deutschen Beitrag
der hoch favorisierten Sängerin Lena Meyer-Landruth mit null Punkten
bewertete, fanden in Internetforen sofort antisemitische Inhalte
Verbreitung, mit dem Tenor: ,Israel verzeiht uns wohl den Holocaust
nie.‘“ Dies zeige sowohl den sekundären Antisemitismus als auch
die Vitalität von Verschwörungstheorien.
Als weiterer
Träger von Antisemitismus mit erheblichem Gefahrenpotenzial gelte
inzwischen auch extremistischer Islamismus. Die in Deutschland
weitgehend nicht offen agierenden islamistischen Gruppen wirkten
hauptsächlich im Ideologietransfer über moderne
Kommunikationsmittel. Wichtigster politischer Träger des manifesten
Antisemitismus sei allerdings das rechtsextremistische Lager, heißt
es weiter in dem Bericht. 90 Prozent aller Straftaten mit
antisemitischem Hintergrund kämen aus diesem Spektrum.
„Die tiefe Verwurzelung von Negativklischees über Juden und
antisemitischen Einstellungen in der deutschen Kultur und Gesellschaft
wird sich nur langfristig und mit nachhaltigen Maßnahmen verändern
lassen“, erklärt Juliane Wetzel. Das Expertengremium hat daher
Empfehlungen für den Deutschen Bundestag erarbeitet, wie dem
Fortschreiten dieser Phänomene entgegenzuwirken ist. Justiz und
Polizei, Vertreter der staatlichen Bildungspolitik, Parteien, Kirchen,
Sport und andere nichtstaatliche Verbände sollten einen
kontinuierlichen Informationsaustausch anstreben, der in einer
Arbeitsgruppe erfolgen könne. Leider würden die bereits
existierenden Programme und Maßnahmen zur Antisemitismus- und
Vorurteilsprävention, zum Beispiel altersgerechtes
Unterrichtsmaterial, Projekte zur Stärkung von Toleranz und
Demokratieverständnis bei Kindern und Jugendlichen oder
Bildungsmaßnahmen speziell für muslimisch geprägte Jugendliche,
häufig unzureichend genutzt, weil sie nicht bekannt seien. Deren
Bekanntheitsgrad und Verstetigung sollte stark gefördert werden. Der
Verfassungsschutzbericht sollte zukünftig ebenfalls Kapitel über
linksextremen sowie islamistischen Antisemitismus aufnehmen, die
Polizeibehörden bei antisemitischen Straftaten von Ausländern den
Migrationshintergrund differenzieren. Hierzu wurde auch auf die
Untersuchungen weiterer Experten verwiesen, unter anderem auf die von
Professor Dr. Werner Bergmann, ebenfalls vom TU-Zentrum für
Antisemitismusforschung. „Eine wichtige Maßnahme wäre
außerdem“, so Juliane Wetzel, „diese Studie für die
Bundesregierung regelmäßig zu wiederholen. Sie könnte
kontinuierlich Aufschluss darüber geben, welche Maßnahmen greifen
und wo gegebenenfalls nachjustiert werden muss.“
www.tu-berlin.de/?id=111721 [1]
"TU intern" Februar 2012
- Online-Inhaltsverzeichnis [2]
- Hochschulzeitung "TU intern" - Februar 2012 [3]
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