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Warum die Euro-Rettung so wichtig ist
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- © pixelio.de/ Gerhardt
Herr Professor
Heinemann, der Euro ist in der Schuldenkrise. Warum ist es so wichtig
für unsere Wirtschaft, alle Euroländer im Verbund zu halten, koste
es, was es wolle?
Kosten und Nutzen müssen natürlich
abgewogen werden. Eine Währungsunion wie die europäische EWU ist
jedoch mehr als ein System mit festen Wechselkursen, das wir ja schon
seit 1979 haben und zu dem auch Nicht-Euro-Länder gehören. Ein
Austritt würde die Erwartung wecken, dass auch andere Länder
austreten und abwerten könnten. Diese hätten dann höhere
Risikoprämien zu zahlen. Außerdem würden die deutschen Exporte
unter einem Austritt anderer Länder leiden.
Schon im Vertrag von Maastricht 1992 wurden Sanktionen
festgelegt für den Fall, dass die Schuldengrenzen überschritten
würden. In der Nachfolgezeit betraf das mehrere Mitgliedsstaaten. Die
Sanktionen wurden aber nicht durchgesetzt. Jetzt soll ein neuer
Stabilisierungsmechanismus, der sogenannte Euro-Rettungsschirm,
Staatspleiten abwenden. Doch auch hier wurden Kreditobergrenzen immer
wieder diskutiert und überschritten. Welchen Sinn haben solche
Instrumente, wenn sie nicht angewandt oder immer wieder verändert und
nach oben angepasst werden?
Die Stabilitätskriterien
von Maastricht sind sinnvoll - es fehlt nur ein glaubwürdiger
Mechanismus zu ihrer Umsetzung. Ökonomen haben schon in den
90er-Jahren, vor Gründung der EWU, in seltener Einmütigkeit davor
gewarnt, dass die Sanktionen nicht glaubwürdig sind. Einem Land, das
seinen Verschuldungsrahmen nicht einhalten kann, wird nicht geholfen,
wenn man ihm Strafzahlungen aufbrummt. Wenn aber damit zu rechnen ist,
dass Sanktionen nicht umgesetzt werden, dann entfalten sie auch keine
abschreckende Wirkung. Die Politik hat diese Warnungen ignoriert.
Übrigens haben die jetzigen Probleme nichts mit dem Verfehlen der
Maastricht-Kriterien zu tun - Spanien, Italien und Irland haben sich
stets daran gehalten.
Wo ist die Grenze für das System "too big to
fail"?
Diese Grenze kann niemand genau bestimmen,
wie der Fall von Lehman Brothers gezeigt hat. Es gibt jedoch seit
Durchführung der "Stresstests" in diesem Jahr
Simulationsmodelle, mit denen man zumindest versuchen kann,
systemrelevante Banken zu identifizieren. Dabei zeigt sich auch, dass
Größe nicht gleich Systemrelevanz ist.
Jetzt sollen es die privaten Anleger richten, die
European Financial Stability Facility EFSF soll nur noch als
Versicherung fungieren, was die Finanzkraft der EFSF vervielfachen
würde. Ist das die Privatisierung der Gewinne, während die
Solidargemeinschaft die Verluste trägt?
Nein. Die
zurzeit wohl favorisierte Methode besteht darin, die Zeichner neuer
Anleihen der betroffenen Staaten gegen Kreditausfälle von bis zu 25
Prozent des Nennwertes zu versichern. Kommt es zu einem Bankrott, dann
fallen die Rückzahlungen ja nicht vollständig aus. Beträgt ein
Schuldenschnitt beispielsweise 40 Prozent, dann wären die für dieses
Land eingesetzten Mittel des EFSF vollständig auszuzahlen und die
privaten Gläubiger müssten nur 15 Prozent abschreiben. Dies
reduziert das Risiko der Gläubiger, sodass sie bei Ausgabe der
Anleihen entsprechend geringere Zinsen verlangen. Bei einer
Versicherung des gesamten Kredites, ohne "Hebel", müsste
der EFSF im Beispiel den gesamten Verlust von 40 Prozent tragen. Das
würde die Risikoprämie zwar noch etwas weiter senken, dafür wäre
das Volumen der versicherbaren Kredite aber auch nur so hoch wie die
verfügbaren Bürgschaften, während das jetzige Modell ein vierfaches
Kreditvolumen absichern kann.
Italien gehört zu
den größten Beitragszahlern beziehungsweise Bürgen und steht selbst
in der Krise. Was bedeutet das für uns? Müssen und können wir einen
möglichen Ausfall mit übernehmen?
Italien wird
allgemein als solvent angesehen. Wenn Italien seine Staatsfinanzierung
wieder in Ordnung bringt - und das kann es im Gegensatz zu
Griechenland durch geeignete Maßnahmen schaffen -, dann kommt es auch
nicht zum Bankrott. Mangelndes Vertrauen der Märkte kann jedoch zu
einer Refinanzierungskrise führen: Neue Schuldverschreibungen, die
nötig werden, um auslaufende alte zu ersetzen, werden nicht oder nur
zu so hohen Zinsen gewährt, dass Italien dann tatsächlich in eine
Solvenzkrise getrieben wird. Der Rettungsschirm soll
Refinanzierungskrisen solventer Staaten verhindern. Es ist jedoch
schwer, Refinanzierungs- und Solvenzkrisen voneinander zu
unterscheiden. Außerdem dürfen die Garantien des EFSF die
betroffenen Länder nicht dazu verleiten, auf Anstrengungen zur
Konsolidierung ihrer Staatsfinanzen zu verzichten. Deshalb muss die
Inanspruchnahme des EFSF - oder ab 2013 des Europäischen
Stabilitätsmechanismus ESM - mit strikten Auflagen verbunden
werden.
Erhöht der "Hebel" im
Rettungsschirm das deutsche Risiko?
Solange der
Bankrottfall nicht eintritt, fungieren die Mittel des EFSF als
Bürgschaft und können nach Ablauf eines Kredits zur Versicherung
eines anderen Kredits eingesetzt werden. Gehen sie jedoch verloren,
dann müssen die Euro-Staaten einen neuen Rettungsschirm finanzieren -
also neue Bürgschaften bereitstellen. Dieses Risiko steigt durch die
Hebelung. Andererseits reduziert der Hebel das Risiko einer
Refinanzierungskrise, unter der wir ebenfalls leiden würden.
Wie groß ist die Gefahr, dass die Staatspleiten - es
stehen ja mehrere Länder kurz davor - alle Mitglieder in den Abgrund
reißen?
Die größte Gefahr ist derzeit die
Uneinigkeit. In den USA, Japan und dem Vereinigten Königreich sind
die Staatsschuldenquoten höher als in Euroland. Diese Länder haben
keine Refinanzierungskrisen, weil sie in ihrer eigenen Währung
verschuldet sind. Bevor die USA Konkurs anmelden müssten, würde das
Federal Reserve System die Staatsschulden eher aus der Notenpresse
bedienen. Inflation ist besser als eine Staatspleite. Weil die Märkte
dies wissen, fürchten sie auch keinen Konkurs - Inflationsgefahren
sind zurzeit auch nicht absehbar. Die Staatsschulden der EWU-Länder
sind jedoch fragmentiert. Jedes Land muss für seine eigenen
Verbindlichkeiten aufkommen, sodass die Märkte deutlich höhere
Risikoprämien verlangen als in den anderen genannten Ländern.
Eurobonds können hier langfristig abhelfen, lösen aber nicht die
aktuellen Probleme. Sie bedürfen dann auch flankierender Maßnahmen
in Form von harten Budgetrestriktionen der Mitgliedsstaaten und
glaubwürdigen Sanktionen. Dies muss keine europäische
Wirtschaftsregierung sein, geht aber einen Schritt in diese
Richtung.
Vielen Dank für das Gespräch!
Die
Fragen stellte Patricia Pätzold
- Prof. Dr. Frank Heinemann
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- © TU Berlin/Pressestelle/ Böck
Prof. Dr. Frank Heinemann vertritt das Fachgebiet
Makroökonomie am TU-Institut für Volkswirtschaftslehre und
Wirtschaftsrecht, Fakultät VII Wirtschaft und Management
"TU intern" November 2011
- Online-Inhaltsverzeichnis [3]
- Hochschulzeitung "TU intern" - November 2011 [4]
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